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Albrecht Goebel:
Sehen wir auf die Gegenwart: Lebt Ihrer Ansicht nach Rostal in der zeitgenössischen Violinpädagogik fort?
Orientieren Sie sich selbst an seinen pädagogischen Überzeugungen?


Alois Kottmann:
Typisch für die heutige Violinpädagogik scheint mir eine gewisse Konturlosigkeit. Nicht wenige Lehrer wursteln vor sich hin und unterrichten ohne festes pädagogisches Konzept. Das ist eine Erscheinung, die alle Niveaus des Geigenunterrichts kennzeichnet, den Anfängerunterricht ebenso wie fortgeschrittene Studien.
Zu den Ursachen dieser Situation gehört der geringe Stellenwert, den instrumentaldidaktische Erwägungen seit jeher in der Unterrichtspraxis besitzen, sowie die fehlende Bereitschaft, über die Gestalt der jeweiligen auf dem Programm stehenden Komposition nachzudenken, sich also intellektuell zu engagieren. Die stärkste Klammer der aktuellen Violinpädagogik scheint mir im weithin akzeptierten Unterrichtsziel zu liegen, die Violinstudenten zur Berufstauglichkeit heranzubilden, wobei die manuell-technische Ausbildung im Vordergrund steht. Hier wird erkennbar, wie stark das technisch hohe Niveau unseres Konzertbetriebs auf die künstlerische Ausbildung an Musikhochschulen, Akademien und Konservatorien zurückwirkt und einer an sich wünschenswerten großen Breite der musikalischen Ausbildung widerstrebt.
Meine Kritik an dieser Situation hängt mit der Lehre Rostals, d.h. mit den Erfahrungen zusammen, die er mir vermittelte. Rostal vertrat Positionen, die ich mir großenteils zu Eigen machte und mit denen ich in meinem Geigerleben nicht schlecht fuhr: Als Geiger wird Erfolg haben, wer auf der Grundlage einer ausreichenden musikalischen Begabung zunächst eine grundlegende Ausbildung in seinem Instrumentalfach sowie in allgemeinen musikalischen Fächern erhält. Ein hoher spieltechnischer Standard ist die Grundlage, um etwa einen Violinabend überhaupt "durchstehen" zu können. Das Konzertpodium fordert einen Musiker derart umfassend, setzt die Gesamtpersönlichkeit derart starken psychischen Belastungen aus, dass - einfach formuliert - die "Finger und Hände funktionieren müssen". Indes muss ein Instrumentalist sich aber auch ein bestimmtes Bild von der anstehenden Komposition gemacht haben, er muss wissen, in welchem Ausdrucksspektrum ein bestimmtes klassisches, romantisches oder zeitgenössisches Werk angesiedelt ist und mit welchen künstlerischen Zielen er die Komposition verbindet. Es genügt nicht, auf die momentane Inspiration zu warten, auf den Kuss der Muse am Konzertabend; künstlerische Inspiration - auch das lehrte Rostal - ist abhängig von gediegener künstlerischer Arbeit im Vorfeld des Konzerts.


     
 
www.alois-kottmann.de