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Albrecht Goebel:
Wo liegen die künstlerischen Schwerpunkte der Gesamtaufnahme aus dem Jahr 1990 bzw. Ihrer jetzt erschienenen Neuauflage, was verbirgt sich vor allem unter dem von Ihnen geprägten Begriff "imaginäres Binden"?


Alois Kottmann:
Wie schon erwähnt, war eine Triebfeder meiner Interpretation, jedes Kratzen, also alle Klangschärfe zu vermeiden und das geräuschhafte Anreißen der Saiten bei Akkorden soweit wie möglich auszuschließen. Erlauben Sie, mit Blick auf meine Gesamtaufnahme der Solosonaten folgendes hervorzuheben: Soweit ich sehe, habe ich erstmals unter Verwendung des modernen Geigenbogens dreistimmige Passagen tatsächlich dreistimmig gespielt, drei Saiten simultan zum Klingen gebracht.
Dies ist nur bei maßvoll gespanntem Bogen möglich, da sich die Bogenhaare dann elastisch an die Saiten anschmiegen. Außerdem bedarf es im Augenblick des dreistimmigen Spiels einer gewissen Streichgeschwindigkeit. Eine weitere wesentliche Voraussetzung ist das Spiel aus dem ganzen Körper heraus, der dann wie eine Federung wirkt, eine gute Klangentfaltung gewährleistet und den Klangfarbenreichtum erhöht.
Der künstlerische Vorteil dreistimmigen Spiels liegt auf der Hand: Wer entsprechende Passagen tatsächlich dreistimmig ausführt, etwa die Unterstimme nicht nur kurz anreißt, der kann das harmonische Spektrum dieser Passagen in seiner ganzen Leuchtkraft vorführen. Wirklich dreistimmiges Spiel lässt hören, wie stark Bach auch in seine Sonaten und Partiten, also in Werken für ein Melodieinstrument, harmonisch-vertikale Aspekte einbringt und hierbei – ganz Komponist der Barockzeit - von der Bassstimme ausgeht. Auch vier- und zweistimmigen Stellen galt meine besondere Aufmerksamkeit. Vierstimmige Akkorde lassen sich auf einer Violine nicht simultan zum Klingen bringen, hier ist das Arpeggio unverzichtbar. Ein befriedigendes Klangergebnis setzt allerdings voraus, dass die tieferen Saiten sanft zum Schwingen gebracht werden und sonor klingen. Gerade dieser sonore Zug vermag die Bogengeräusche zu kompensieren, die zwangsläufig mit dem Arpeggio verbunden sind. Bedeutsam erscheint mir darüber hinaus, dass ein Geiger bei vierstimmigen Akkordketten verdeckte lineare Fortschreitungen erkennt und sie hörbar macht. Dies wird möglich, indem er vierstimmige Akkorde - je nach Erfordernis der Komposition - in Akkorde zu drei plus einer Stimme oder zu jeweils zwei Stimmen auffächert.
Zweistimmige Passagen kommen in Bachs Solosonaten besonders oft vor, sie stehen häufig im Zeichen des motivischen Wechselspiels oder des Kontrapunkts. Hier muss sich der Interpret mit Hilfe differenzierter Bogentechnik um eine exakte rhythmische Ausführung bemühen, d.h. etwa in der C-Dur Fuge den chromatisch angelegten Kontrapunkt auch tatsächlich umsetzen und durchhalten. Nur dann kann die Motiv- und Satzstruktur entsprechender Passagen hervortreten und Bachs Musik zu einer authentischen Wiedergabe kommen.
Der Begriff "imaginäres Binden" gehört in folgenden Kontext: Bach komponierte in seinen Solosonaten zahlreiche Doppelgrifffolgen, bei denen unmittelbar hintereinander dieselben Finger der linken Hand zum Einsatz kommen und aus diesem Grund das an sich vorgeschriebene bruchlose Binden ausgeschlossen ist. Hier kann das "imaginäre Binden" ein wenig abhelfen. An solchen Stellen – ein Beispiel ist etwa die Siciliana der g-Moll Sonate - versetze ich beim Binden zweier Doppelgriffe den bogenführenden Arm in eine Art Schwebezustand und hieve gleichsam die Finger in ihre neue Position, wobei der ganze Körper unterstützend eingesetzt wird. Das Ergebnis ist in der Tat ein dichteres Legato.


     
 
www.alois-kottmann.de